Prozessbericht – Free the three: Vierter Verhandlungstag

Der nunmehr vierte Prozesstag ging am Mittwoch, den 2. Mai, vorüber. Wir dokumentieren den auf Indymedia veröffentlichten Prozessbericht mit folgender Ergänzung.

Die für den 16. Mai, 4. und 7.Juni angesetzten Verhandlungstermine entfallen. Weiteres über neue Termine erfahrt ihr hier, sobald es dazu eine Entscheidung gibt.

Prozessbericht – Free the three: Vierter Verhandlungstag

Vergangenen Mittwoch, den 2. Mai, fand die Fortsetzungsverhandlung am Amtsgericht Gotha gegen drei von Nazis des Raubs und der Körperverletzung bezichtigten Antifaschisten aus Gotha statt. Dieser Tag ist von zahlreichen Sitzungsunterbrechungen und -pausen geprägt, verursacht u.a. durch einen aussageunwilligen Staatsschutzbeamten.

Im Sitzungssaal waren neben den zur Unterstützung des Angeklagten anwesenden Antifaschistinnen, diesmal keine Nazis, außer der vermeintlich Geschädigten Anne-Kathrin Helbing (ehemals Schmidt) samt ihres Mannes. Helbing ist bereits beim letzten Verhandlungstermin in anwaltlicher Begleitung erschien und stellte dort einen Antrag auf Nebenklage. So fand sich diese nun samt Anwalt Norbert Witt als Verfahrensbeteiligte neben dem Tisch der Staatsanwaltschaft wieder. Zwischenzeitlich hatte sie gemeinsam mit ihrem Anwalt Gelegenheit die Akte zu studieren. Der am letzten Verhandlungstag eingebrachte Antrag der Verteidigung, Anne-Kathrin Helbing keine Akteneinsicht zu gewähren, um die Wahrheitsfindung nicht zu gefährden, ist nämlich abgelehnt worden.
Für diesen Verhandlungstag war der Staatsschutzbeamte Heiko Thoma der KPI Gotha geladen und Helbing selbst sollte sich noch mal im Zeugenstand befragen lassen.

Ein Blick zurück – Zints und Helbings „Anti-Antifa Arbeit“

Zu Beginn der Verhandlung wurden Auszüge der beigeordneten Akte aus einem Verfahren vom 11. Januar 2017 verlesen. In diesem Fall bezichtigte der Nazi Marco Zint einen Antifaschisten der schweren Körperverletzung, wobei sich im Laufe der Verhandlung herausstellte, dass sich Zint einer Falschaussage bediente, um an Name und Adresse des Angeklagten heranzukommen. Anne-Kathrin Helbing gab damals den Hinweis auf den Namen des vermeintlichen Täters. (http://rotehilfesth.blogsport.de/2017/01/17/gotha-antifaschist-von-nazi-gezinkt-eine-wahre-geschichte/)

Aus der auf Antrag der Verteidigung beigeordneten Akte wurde die Anklageschrift sowie das Hauptverhandlungsprotokoll, in welchem unter anderem die absurde Aussage Zints protokolliert wurde, von der Richterin verlesen. Neben der hanebüchenen Aussage Zints kam die Sprache auch auf Anne-Kathrin Helbings Aussage bei der Polizei. Sie gab zu Protokoll am darauf folgenden Tag des Tattages von Marco Zint kontaktiert worden zu sein, der sie nach dem Namen des vermeintlichen Angreifers befragte und sie ihm einen Namen nannte.
Pikant sind wiederum die Lichtbilder, die den Zeugen vorgelegt worden sind. Die Lichtbildmappe enthält Bilder und vermutlich weitere Informationen über vermeintlich politischmotivierte Straftäter aus der linken Szene aus dem Landkreis Gotha. Es ist bereits bekannt, dass in mehreren Ermittlungsverfahren jene Lichtbildmappe Zeugen zur Identifizierung vorgelegt werden.

Zu den verlesenen Auszügen gibt die Verteidigung eine Stellungnahme ab und verwies unter anderem auf Widersprüche in der von Helbing gemachten Aussage. Laut einem Zwischenbericht der Akte, rief Marco Zint bereits am Morgen der Tatnacht bei der Polizei an, um den Namen des vermeintlichen Täters, den er von Anne-Kathrin Helbing erfuhr, weiterzugeben. Allerdings sagte Helbing bei der polizeilichen Vernehmung aus, erst einen Tag später und nicht kurze Zeit später von Zint kontaktiert worden zu sein.

Gericht und Staatsanwaltschaft mit Samthandschuhen für den Staatsschutz

Als nächstes wurde der Staatsschutzbeamte Heiko Thoma in den Zeugenstand gerufen. Dieser wurde vorgeladen, um die besagte Lichtbildmappe politischmotivierte Kriminalität (PMK) links Landkreis Gotha dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten zur Inaugenscheinnahme vorzulegen. Nach Abfrage der persönlichen Daten polterte Thoma sogleich heraus, dass er die Mappe zwar dabei hat, sie aber nicht herausgeben wird. Eine Aussagegenehmigung habe er ebenso nicht, da er seinen Vorgesetzten auch gar nicht informiert habe. Nach lesen der Akte, kam er zu dem Urteil, die Lichtbildmappe sei für das Verfahren als Beweisstück irrelevant, des Weiteren hätte er in der Kürze der Zeit wahrscheinlich keine Aussagegenehmigung seines Vorgesetzten erhalten und außerdem stufe er die Lichtbildmappe als sperrwürdig ein. Das heißt, seiner Ansicht nach müsse die Lichtbildmappe vom Innenministerium einen Sperrvermerk erhalten, der die Einsichtnahme von Dritten verbietet. Da ein solcher Sperrvermerk bis dahin aber nicht vorlag, wäre es seine Aufgabe gewesen, nachdem ihm der Beweismittelantrag zur Lichbildmappe zugegangen ist, eine entsprechende Aussagegenehmigung bei seinem Vorgesetzten einzuholen. Bevor der Zeuge Thoma auf Antrag der Verteidigung aufgefordert wurde zum Zweck der weiteren Beratung den Saal zu verlassen, unterbreitete der sichtlich vom Infragestellen seiner Autorität und Einschätzung der Verfahrensirrelevanz Überraschte einen faulen Kompromiss; nämlich die Lichtbildmappe immerhin dem Gericht vorzulegen, aber eben nur diesem. Der Versuch, entgegen der StPO neue Verfahrenswege zu etablieren, scheiterte. Der Zeuge verließ den Saal.

Da er sich über die Entscheidung des Gerichts, die Lichtbildmappe als verfahrensrelevant einzuschätzen, hinwegsetzte und es willentlich unterließ, sich eine Aussagegenehmigung von seinem Dienstvorgesetzten einzuholen, beantragte die Verteidigung in dessen Abwesenheit die Beschlagnahmung der Lichtbildmappe, um sie anschließend in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen. Diese habe schließlich erhebliche Relevanz für die Bewertung der Wiedererkennungsleistung der Zeugin Helbing und ihre Glaubwürdigkeit. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass der Zeuge Thoma die Herausgabe der Mappe bzw. die Beantragung dieser willentlich vereitelt habe, da womöglich Datenerhebungen darin dokumentiert sind, die über die jeweiligen Erhebungszwecke hinausgehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Polizei Daten sammelt und speichert. Erst beim Prozess um die Misshandlung drei junger Punks in einer Weimarer Polizeizelle im Jahr 2012 hatten die damals eingesetzten Polizeibeamten u.a. Fotos der Inhaftierten mit Privatkameras angefertigt. Auch hier ging – behelfsweise verharmlosend ausgedrückt – der Verfolgungseifer der Cops weit über ihre Befugnisse hinaus. (http://wia.blogsport.de)

Bei der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft rutschte der Staatsanwältin bei der Bezeichnung der Angeklagten glatt die Bezeichnung dieser als Täter heraus. Schnell aber glaubte sie zu korrigieren: „Die an der Tat Beteiligten“. Wenn das die Staatsanschaftschaft schon unabhängig vom Gericht entschieden hatte, braucht es wohl keine Beweisaufnahme mehr. Selbstredend war diese wenig begeistert von dem Antrag der Verteidigung und schätze die Beschlagnahmung als unverhältnismäßig ein, da das Gericht die Aussagegenehmigung nachträglich selbst bei dem Vorgesetzten von Herrn Thoma einholen könne. Über den Antrag, sowie einen weiteren Beweisantrag der Verteidigung der Vernehmung des Zeugen Thoma als Zeuge, wollte das Gericht während der einstündigen Mittagspause entscheiden.Vorher wies die Verteidigung noch einmal explizit darauf hin, dass in den Akten die Lichtbildmappe mehrmals Erwähnung finde, sich aber in den Unterlagen nicht befinde und von der Staatsanwaltschaft, die, da sie die Ermittlungen leitet, verantwortlich ist, für die Vollständigkeit der Akte, von vornherein hätte mit beigefügt werden müssen.

Nach der Pause verkündete die Richterin die Zurückweisung des Beweisantrags sowie das Zurückstellen des Beschlagnahmungsantrags. Daraufhin stellte die Verteidigung, wie angekündigt, einen weiteren Antrag. Das Verfahren sei einzustellen oder hilfsweise auszusetzen, da der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten verletzt sei. Die Nebenklägerin Helbing hatte sowohl vollumfängliche Akteneinsicht, als auch Einsicht in die Lichbildmappe PMK links, während trotz vom Gericht anerkannter Relevanz und Beweismittelantrags der Verteidigung dieser bis dato keine Einsicht in die Lichtbildmappe möglich war. Das Gericht sah sich darüber hinaus bis dahin nicht willens, diese Waffenungleichheit zu beseitigen. Die Staatsanwaltschaft erwiderte, dass sie keine Waffenungleichheit sehe, da allen Verfahrensbeteiligten die gleichen Akten zur Verfügung stünden und regte überdies erneut an, die Aussagegenehmigung solle vom Gericht noch eingeholt werden. Allgemein sehe sie in der Herbeiziehung der Lichtbildmappe keine wirkliche Relevanz für das Verfahren. Dass bei der KPI Gotha, wie bereits andere Verfahren zeigten, sehr freimütig mit der Lichtbildmappe bei Zeugenvernehmungen umgegangen wird, interessierte die Staatsanwaltschaft herzlich wenig.

Das Gericht nahm die von der Staatsanwaltschaft angeregten Kompromiss in allgemeiner und bereits bekannter Entscheidungsunwilligkeit dankend an, wies den Antrag zurück und erklärte, bis zum nächsten Mal selbstständig prüfen zu lassen, ob die Lichtbildmappe sperrwürdig sei. Der Hinweis der Verteidigung, dass es nicht die Aufgabe des Gerichts sei, eine Prüfung auf Sperrwürdigkeit anzuregen, sondern, liegt wie im aktuellen Fall, kein Sperrvermerk vor, es der korrekte Weg sei, eine Aussagegenehmigung einzuholen, wurde nach einem hitzigen Schlagabtausch ausgeschwiegen. Da die Staatsanwaltschaft, die offen die Interessen der Polizei und des Staatsschutzes verteidigte, sich der Tragweite des Ganzen wohl nicht bewusst war, wies die Verteidigung an dieser Stelle darauf hin, dass, sollte die Lichtbildmappe einen Sperrvermerk erhalten, die Vorlage dieser gegenüber Zeugen in vorangegangen und auch diesem Ermittlungsverfahren illegal gewesen sei. Nach einer weiteren der unzähligen Pausen, merkte die Verteidigung außerdem an, dass die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich mehrfach die Gelegenheit hatte, telefonisch mit dem Innenministerium wegen der Lichtbildmappe in Kontakt zu treten. Die Staatsanwältin aber verstand die ganze Aufregung nicht. Das könne man ja auch das nächste Mal machen. Außerdem äußerte die Verteidigung ihre Verwunderung über den laxen Umgang der Richterin mit dem Zeugen Thoma und die Tatsache, dass dieser sich über die Entscheidung eines Gerichts stellte.

Fortsetzungstermine Mitte Mai und Anfang Juni

Der Zeuge Thoma, der während des gesamten Verhandlungstages draußen wartete, wurde nun noch einmal in den Gerichtssaal gebeten, damit er entlassen und für den nächste Verhandlungstermin geladen werden konnte. Das Gericht verkündete, sich bis dahin eine Aussagegenehmigung für die Befragung zu jener Mappe beim Vorgesetzten des Herrn Thoma einzuholen. Da er sein Urteil, das Gericht läge falsch mit der Beurteilung der Relevanz der Lichtbildmappe, während der Wartezeit wohl nicht revidierte, forderte er dazu auf, man möge ihn noch die Begründung des Beweismittelantrags mitteilen. Unter Gepolter der Verteidigung, ignorierte die Richterin diesen erneuten Anflug von Selbstüberschätzung des Staatsschutzbeamten und verabschiedete ihn bis zum nächsten Mal.

Die Richterin regte nun an, mit der Befragung Helbings fortzusetzen, woraufhin die Verteidigung erneut insitierte, ohne die Lichtbildmappe vorliegen bzw. in Augenschein genommen zu haben, die Befragung nicht fortsetzen zu können. Zum Schluss verlas die Richterin noch die Auswertung der DNA-Spuren. Dabei wurde sowohl die von Helbing mitgeführte Tasche sowie ein Brillengestell untersucht und mit den Vergleichsproben von Helbing, Danilov und einem Angeklagten abgeglichen. Das Gutachten bezeugt, dass dadurch lediglich DNA-Spuren der vermeintlich Geschädigten auf der Tasche gefunden wurden. Zur weiteren Auswertung der DNA-Spuren wird von Seiten des Gerichts für die weitere Verhandlung der Polizeibeamte Pillinger geladen, der die Spurenuntersuchung vornahm.

Einmal mehr hat sich gezeigt, dass das Gericht Konflikten und möglichen aufgedeckten Skandalen aus dem Weg geht. Wie schon bei der Zeugenvernehmung der Nazis werden bockige Verweigerungen der Aussagen, pampige Antworten sowie ein Zurückhalten von Beweisen nicht geahndet und hingenommen. Wo ein Gericht hinnimmt, sich von Nazis sagen zu lassen, dass sie nicht einsehen sich zu äußern, weil sie keine Verfahrensrelevanz erkennen – wie unzählige Male beim letzten Verhandlungstag –, kann es nicht verwundern, dass es da unberührt bleibt, wo ein Beamte sich über dessen Entscheidung hinwegsetzt, weil er zu einer anderen Einschätzung gekommen sei. Was das Hinwegsetzen über Gesetze und Entscheidungen des Gerichts nach gutdünken für die berufliche Praxis eines Polizisten für Rückschlüsse zulässt, birgt für die verfahrensbegleitenden Antifaschisten und Angeklagten keine neue Erkenntnis. Das dann zu deckeln, dazu gibt es die Staatsanwaltschaft. Dass, nach der Reihe an aufgedeckten schweren Ermittlungsfehlern durch die Polizei in diesem Fall, selbst der größte Depp an der Glaubwürdigkeit der Polizisten zu zweifeln beginnt, scheint Thomas Freunden bei Staatsanwaltschaft und Gericht bislang nicht aufgegangen oder notwendiges Übel. Wie oft Thoma und seine Kolleginnen vom Staatsschutz bereits die Lichtbildmappe Nazis oder sonst wem vorgezeigt haben, ist unklar. Bekannt wurden bislang nur zwei Fälle, die die Rote Hilfe Südthüringen dokumentierte und in beiden Fällen mit einem Freispruch für die Angeklagten endete. Doch selbst das scheint den unbändigen Verfolgungswillen der Gothaer Staatsschützer und der Erfurter Staatsanwaltschaft gegen links nicht zu zügeln.

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