Am 16. März 2019 demonstrierten über 900 Antifaschisten in Eisenach unter dem Motto „Antifa in die Offensive – Die Wartburgstadt ins Wanken bringen“. Mit einem Redebeitrag machte die Rote Hilfe Südthüringen auf die Repressionen und die Machenschaften der lokalen Neonazisszene in der Nachbarstadt Gotha aufmerksam. Im Folgenden wird der Redebeitrag dokumentiert.
(Bild von Lionel C. Bendtner geklaut)
Über zweieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass eine Hundertschaft der Polizei in Gotha in der Nacht mit Schildern und Montur vor dem Wohn- und Projekthaus Ju.w.e.l. e.V. stand und drohte, dieses zu stürmen, sollten nicht binnen fünf Minuten drei von einer Naziaktivistin der Straftat bezichtigte Antifaschisten heraustreten. Den wüsten Beschuldigungen der Zeugin wurde im Nu mit allem nachgegangen, was der Repressionsapparat aufzufahren hatte. Besagte Zeugin, Anne-Katrin Schmidt, ist dabei eine seit Jahren in Gotha aktive Neonaziaktivistin, der das Hausprojekt Juwel schon lange ein Dorn im Auge ist.
Von den mehreren Menschen, die hinaustraten um das Eindringen der Polizei zu verhindern, landeten zwei den Abend über im Gewahrsam. Gegen sie wurde ein Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angestrengt und Strafbefehle erlassen. Drei weitere Genossen verbrachten das darauf folgende Wochenende in Untersuchungshaft, aus der sie nur nach Zahlung von Kautionen und unter teils absurden Auflagen wieder frei kamen. Die Auflagen galten dabei bis zum Prozessbeginn im März 2018, also fast zwei Jahre.
Welche politische Dimension dabei das Zusammenspiel von Nazis und Bullen sowie das harte und schnelle Vorgehen der Polizei hat, zeigt sich dabei besonders deutlich, zieht man die Ereignisse von Ballstädt als Vergleich heran. Im Februar 2014 hat eine Horde Neonazis in Ballstädt (bei Gotha) eine Kirmesgesellschaft überfallen und teilweise ins Krankenhaus geprügelt. Hieran beteiligten sich Nazis aus verschiedenen Regionen Thüringens. Obwohl es genug Beweise gab, stand dort keine Hundertschaft vor der Tür oder drohte damit das ganze Haus auseinander zunehmen. Zerrte keine Leute über die Straße, schlug auf sie ein und sperrte sie auch nicht für mehrere Tage in Untersuchungshaft. Die Nazischläger aus Ballstädt liefen auch während des Prozesses frei herum und konnten in dieser Zeit weiterhin Menschen attackieren.
Dass das Zusammenspiel von Nazis und Staat bei der Drangsalierung vermeintlicher und tatsächlicher politischer Gegner System hat, ist spätestens seit dem Auffliegen des NSU bekannt. Hier bildet Gotha keine Ausnahme. In zwei unterschiedlichen Verfahren, bei denen Antifaschistinnen nach der Beschuldigung durch Nazis auf der Anklagebank saßen, wurde dies deutlich. In beiden Fällen wurden die wüsten Beschuldigungen unterstützt dadurch, dass Zeugen, unter ihnen freilich auch Nazis, Einblick in die Staatsschutzakte ‚Straftäter links‘ erhielten, um anhand der Lichtbilder aus dem so eingegrenzten Verdächtigenbereich die vermeintlichen Täter zu identifizieren. Trotz dessen in beiden Fällen die Angeklagten freigesprochen wurden, haben Nazis hier tatkräftige Unterstützung bei dem Ausspionieren von linken Strukturen erfahren. Dass es z.T. nur darum ging, offenbarte der Naziaktivist Marco Zint in einem der Prozesse, der, auf die Widersprüche in seiner belastenden Aussage hingewiesen, zugab, nichts zum Tatvorwurf beitragen zu können, sondern den Angeklagten nur anzeigte, um dessen Adresse zu erfahren. Die gewünschten Informationen hat er erhalten, ein weiteres Nachspiel hatte das Ganze für ihn nicht.
Der Prozess gegen die drei Genossen ist mittlerweile zum dritten Mal geplatzt. Nachdem die Neonazizeugen beim Prozessauftakt nicht erschienen und sich beim zweiten Versuch ein dreiviertel Jahr später an nichts erinnern wollten, verstrickten sie sich – als sie dann doch aussagten – in Widersprüchen. Letztlich landete auch der schon erwähnte Marco Zint wieder auf der Zeugenbank. Wie sich im Laufe des Verfahren herausstellte, haben sich die vermeintlichen Geschädigten und Zint bereits unmittelbar nach der angeblichen Tat abgesprochen, um gezielt gegen unsere Genossen vorzugehen. Am Ende folgt ein jahrelanger Prozess, falsche Behauptungen, eine Demonstration gegen „linke Gewalt“ und das Outing eines unserer Genossen. Das bisherige Verfahren zeigt, mit welcher Strategie die Nazis in Gotha gegen Antifaschisten vorgehen. Auf der Straße versuchen sie einzuschüchtern und über abgesprochene Anzeigen juristisch gegen die Antifas vorzugehen. Schützenhilfe bekommen sie dabei vom Staatsschutz, der ihnen bereitwillig vermutlich illegal gesammelte Daten zur Verfügung stellt und unhinterfragt die Ermittlungen abschließt. Nachdem die zuständige Richterin am Amtsgericht Gotha, kurz vor der Beiholung der ominösen Staatsschutzakte zu linken Straftätern, erkrankte, wurde der Prozess weitere Monate verschleppt. Anfang 2019 sollte er von vorne beginnen. Mit dabei zwei neue Schöffen. Bei einem der Schöffen entdeckte die Verteidigung auf dessen Facebook-Profil geteilte Inhalte von Pegida und Wehrmachtsfotos. Es folgte ein Antrag auf Befangenheit, alle Prozesstermine wurden abgesagt, der Prozess weiter verschleppt. So lange dieses Prozedere läuft, stehen unsere Genossen unter Druck, die Nazis lehnen sich gemütlich zurück und planen ihre nächste Demo, u.a. am 13. April in Gotha.
Das alles zeigt auf, dass es nicht nur für eine persönliche Unterstützung von Genossen wichtig ist, dass wir uns solidarisch zeigen. Wie die unterschiedliche Ausnutzung von Handlungsspielräumen und der verschieden intensive Ermittlungseifer zeigt, ist die Drangsalierung und Verfolgung Einzelner nicht nur ein Mittel geltendes Recht durchzusetzen, sondern verfolgt auch politische Interessen; nämlich ganz wesentlich das, linke Strukturen finanziell und strukturell zu belasten oder gar lahm zu legen und nicht zuletzt nach außen hin sichtbar und spürbar zu machen, was es heißt, sich klar als Antifaschist zu bekennen. Das gilt es aufzufangen, dem entgegen zu wirken. Denn: Solidarität ist eine Waffe! Unterstützt die Soli-Kampagne „Free the three“!