Free the Three: Erster Verhandlungstag geplatzt – zweiter für März 2018 angesetzt

Nachdem die drei von einem Nazi des Raubs und der schweren Körperverletzung bezichtigten Antifaschisten über ein Jahr auf einen ersten Prozesstermin warten mussten, wo ein solcher eigentlich binnen eines halben Jahres stattfinden muss, wenn bei Angeklagten, wie im Fall Gotha, nur unter von ihnen einzuhaltenden Auflagen eine Untersuchungshaft ausgesetzt wird, konnten beim ersten Verhandlungstermin am 21. November 2017 auch keine Fortschritte erzielt werden. Da zwei Zeuginnen nicht erschienen – unter ihnen die vermeintlich geschädigte Naziaktivistin Anne Kathrin Helbing (ehemals Schmidt) – wurde die Verhandlung um ein weiteres halbes Jahr auf März 2018 verschoben.

Kurzer Prozess

Zur Unterstützung der Betroffenen wurde vor dem Amtsgericht Gotha bereits ab 8:30Uhr eine Kundgebung abgehalten, der über 50 Unterstützerinnen beiwohnten. Nach dem Verlesen eines Redebeitrages entschieden sich etwa zweidrittel der Anwesenden zeitnah die Zuschauerplätze im Sitzungssaal zu besetzen. Nach dem Passieren der Vorkontrollen durch Justiz- und Polizeibeamte im Amtsgericht und der Abgabe der Handys hatten sich die meisten etwa eine halbe Stunde vor dem Prozess im Sitzungsaal eingefunden und warteten dort auf den Beginn, der für 9:30Uhr angesetzt war.

Relativ schnell zeichnete sich ab, dass keine Nazis zur Unterstützung Helbings kommen würden. So war der Saal gefüllt mit Antifaschistinnen, zwölf Polizeibeamten und einem Vertreter vom Gothaer Staatsschutz, sowie dem einen erschienenen Zeugen, Alexander Danilov, dem damaligen Lebensgefährten Helbings, der sie am Abend des 8. September 2016 begleitete und so angab, in den Vorfall verwickelt gewesen zu sein. Als gegen 9:40Uhr die Protokollantin nach der Anwesenheit der Zeugen fragte, bestätigte sich, was alle Anwesenden bereits vermuteten. Es fehlte die vermeintlich Geschädigte und Anzeigerstatterin Helbing. Diese reichte eine Krankschreibung ein, wie sich später herausstellte. „That’s timing“ brachte die Richterin den Umstand auf dem Punkt. Neben ihr fehlte eine weitere Zeugin, die das Geschehene beobachtet haben will; diese war nicht entschuldigt. Auf Grund des untentschuldigten Fehlens wurde ihr auf Antrag der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung im späteren Prozessverlauf ein Ordnungsgeld von 150€ oder wahlweise 3 Tage Ordnungshaft auferlegt.

Als unzweifelhaft feststand, dass beide Zeuginnen nicht mehr kommen würden, zogen sich Staatsanwalt Gröll, die Anwälte und die Richterin zu einer neuen Terminvereinbarung zurück. Als diese zurück kamen, begann um 10:05Uhr der Prozess mit dem Abgleich der persönlichen Daten der Angeklagten und dem Verlesen der Anklageschrift. Die Richterin bat danach, den Inhalt der Absprache ins Protokoll aufzunehmen. Es habe keine Vorabbesprechung zur organisatorischen Vorgehensweise mit der Verteidigung gegeben, sondern es wurde lediglich ein neuer Verhandlungstermins festgelegt. Da binnen einer drei Wochen-Frist kein gemeinsamer Termin gefunden werden konnte, werde das Verfahren ausgesetzt. Als neuer Verhandlungstermin wurde der 20.03.2018 für 13:15Uhr festgelegt und ein eventueller Fortsetzungstermin auf den 28.03.2018 um 9 Uhr gelegt. Nach hörbarem Unmut im Zuschauerraum darüber, dass der Prozess damit um ein weiteres halbes Jahr verschoben wurde, wurden die für 10:15 Uhr geladenen Zeugen entlassen. Die beiden geladenen Polizisten Breithbart und Linke blieben aber mit dem Zeugen Danilov weiterhin im Gerichtssaal.

Staatsanwaltschaft zieht Vergleich zu Ballstädt-Überfall

Bevor damit der erste Verhandlungstag recht schnell zu Ende ging, stellten die Verteidiger noch einen Antrag auf die Aufhebung des Haftbefehls. Der vom Amtsgericht ausgestellte Haftbefehl war der Grund dafür, dass die drei Angeklagten noch in der Nacht vom 8. auf den 9. September in Untersuchungshaft gebracht wurden. Dieser wurde mit der Auferlegung der Auflagen ausgesetzt, was heißt, dass durch die Erfüllung der Auflagen die drei Betroffenen nur noch formell, nicht aber faktisch sich in Haft befinden. Wäre dieser aufgehoben, sind es entsprechend auch die Auflagen.

Da der Vorwurf, der Grundlage für den Haftbefehl war, nicht mal mehr Teil der Anklageschrift war, schien es aus Sicht der Verteidigung ungerechtfertigt, diesen aufrecht zu erhalten. Zusätzlich wurde auf die Tatsache hingewiesen, dass es den Angeklaten schwerlich zur Last gelegt werden kann, dass der Prozess und damit die Entscheidung, die die Auflagen aufhebt, ein weiters halbes Jahr nach hinten verschoben werden musste, indes jede weitere Woche unter diesen Auflagen aber eine Zumuntung für die Betroffenen sei. Ganz Wesentlich sei außerdem der einzig zulässige Grund für einen Haftbefehl, nämlich die Fluchtgefahr, nicht gegeben. All das quittierte der Staatsanwalt mit Schulterzucken.

Nach kurzem Schweigen ließ sich der Staatswanwalt doch zu einem verbalen Statement hinreißen. Die Ansicht einer der Anwälte, dass eine zumindest formell 1,5 Jahre andauernde Untersuchungshaft unverhältnismäßig sei in Bezug auf das zu erwartende Strafmaß, teile der Staatsanwalt nicht, schließlich erging bei einem ähnlichen Gemenlage vor Kurzem ein Urteil über eine Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. Damit nahm der Staatsanwalt Bezug auf den Ballstädtprozess. Ein Vergleich, der, so wie er von der Staatsanwaltschaft intendiert war, haarsträubend ist. Wenn der Vergleich von beiden Sachverhalten nämlich eins zeigt, dann eine krasse Unverhältnismäßigkeit.

In Gotha beschuldigt eine bekannte Naziaktivistin, der das Wohn- und Projekthaus Ju.w.e.l. e.V. schon lange ein Dorn im Auge ist, drei Antifaschisten des Angriffs gegen sie. Binnen weniger Stunden fuhr der Repressionapparate alles auf, was er zu bieten hatte, es wurden Haftbefehle ausgestellt und drei wild Beschuldigte landeten in Untersuchungshaft. In Ballstädt schulg eine Horde Nazis eine Kirmesgesellschaft krankenhausreif. Trotz deutlicher Beweise liefen die Angeklaten vor und während des Prozesses frei herum und hatten während dessen Gelegenheit, weitere Menschen tätlich anzugreifen – welche sie nachweislich auch nutzten. Wenn der Vegleich also eines deutlich macht, dann die politische Dimension der Ereignisse in Gotha, bei der Staat und Justiz einer Naziaktivistin eifrig dabei behilflich sind, eine Fehde auszutragen, wo sie bei anderen Sachen auch gerne Mal ein Auge zudrücken.

Die Ausführungen des Staatsanwaltes wurden also zurecht mit Raunen im Zuschauerraum und einer Erwiderung der Verteidigung, die die Unterschiede der Tatvorwürfe herausstellte, gekontert. Über den Antrag wurde letztlich nicht entschieden, da der Staatsanwalt sich nicht zu einer Stellungnahme in der Lage sah. Diese werde zeitnah erfolgen. Mit Zwischenrufen aus dem Publikum, der Androhung wegen Ordnungsgeldes, sollte sich dieses nicht ruhig verhalten und der Auffordung des Staatsanwaltes, die Öffentlichkeit möge nach Beendigung der Verhandlung nun endlich den Raum verlassen, endete gegen 10:45 Uhr der Prozesstag.

Fazit

Der Vehandlungstag verdeutlicht einmal mehr, wie leicht es Nazis in Gotha gemacht wird mit Hilfe rechtsstaatlicher Mittel Druck gegen Antifaschisten aufzubauen. Wie die Vergangeheit zeigt, spielt es dabei kaum eine Rolle, ob die erhobenen Vorwürfe gerechtfertigt sind oder nicht. Auch im Vorfeld von Freisprüchen gelang es Nazis, mit Hilfe des Staatsschutzes an sensible Daten zu gelangen, Antifaschisten vor Gericht zu ziehen und nicht zuletzt Durck aufzubauen, wenn diese eine Ermittlung und eine Verhandlung mit drohender Verurteilung über sich ergehen lassen müssen. Ein weiterer Prozess dieser Art erwartet uns im Dezember, wenn die ebenfalls am 9. September 2016 in Gewahrsam genommenen Antifaschisten sch vor Gericht wegen Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamte verantworten müssen.

Warum am 21. November keine Nazis da waren, ist fraglich. Vielleicht konnte sich nach Streitigkeiten und Zerwürfnissen in der Szene kein Kamerad dazu durchringen, seinen Vormittag zu opfern. Oder aber, es gab bereits im Vorfeld Absprachen mit Helbing, dass diese nicht kommen würde. Ob sie tatsächlich krank war, sie aus Angst vor einer Bloßstellung in aller Öffentlichkeit, wie beim Nazi Marco Zint, oder aus strategischen Gründen fern blieb, weil sie hofft, bei einem neuen Verhandlungstermin nicht mit sovielen Antifaschisten im Rücken eine Aussage machen zu müssen, ist uns nicht klar und spielt auch für das weitere Vorgehen keine Rolle. Wir warten auf eine ‚zeitnahe‘ Stellunganahme der Staatsanwaltschaft zu den Auflagen, werden die verbliebene Zeit zur Fortführung der Soliarbeit nutzen und sind auch im März wieder zahlreich vor Ort, um unsere Genossen zu unterstützen.

In diesem Sinne: save the dates.
Neuer Prozesstermin: 20. März ab AC:AB Uhr + 3 Minuten
Möglicher Folgetermin: 28. März ab 9 Uhr

Nachtrag: Einen Tag nach dem ersten Prozesstermin, also am 22. November, schließt sich die Staatsanwaltschaft Erfurt den Anträgen der Verteidigung an. Damit ist der Haftbefehl aufgehoben und die Auflagen sind außer Kraft gesetzt.

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Soligruppe „Free the three“, November 2017

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